Kerstin und ich haben uns auf einen gemeinsamen Konzeptentwurf für den Wilhelmstrassenprozess geeinigt, den wir hier auch schon einmal in Vorbereitung für die nächste Woche einstellen wollen. Eine darüberhinausgehende Sammlung von Bildern, Filmaufnahmen etc. finden sich im Ursprungskonzept von Kerstin.
Unsere Prozesse betreffen Staatsanwälte, Richter, Diplomaten, med. Dienst etc. Insofern ist es wenig überraschend, wenn man daraus folgenden Schluss zieht: Die zentralen Stützen eines/des Staates sind Beamte und Verwaltung. Das ist in meinen Augen der Punkt, der unsere 4 Fälle verbindet. Nun daraus noch eine ideologische Verbindung zu konstruieren (da diese Verbindung nach meiner Meinung nicht vorliegt, zumindest was Fall XI betrifft), bedeutet jedoch lediglich eine Verkürzung und Verallgemeinerung.
Wie bereits in einer unserer vorangegangenen Besprechungen angemerkt bin ich der Meinung, dass durchaus jeder der 4 Fälle AUCH als „Individuum“ innerhalb des Podcasts wahrnehmbar sein sollte: es waren eben 12 (bzw. 16 geplante) Nachfolgeprozesse.
„Rassenideologie“ ist in meinen Augen ein viel zu abstrakter Begriff, als dass damit inhaltlich etwas gewonnen wäre: Meint der Begriff den „klassischen“ Rassismus eines Chamberlain und Grafen Gobineau, oder eher den Antisemitismus (und Antijudaismus) Stoeckers oder Eckarts oder die geschichtstheoretischen Rasseüberlegungen eines Oswald Spengler? „Mein Kampf“ mag all diese Überlegungen in der ein oder anderen Form verarbeiten, allerdings ist dieses Werk nicht Grundlage für den ideologischen Hintergrund der allermeisten unserer Angeklagten…
Ich lasse mich gerne überzeugen, eine ideologische Linie durch die Prozesse zu ziehen, allerdings glaube ich nicht, dass dies wirklich zielgruppenorientiert wäre.
Ich konnte leider letzten Dienstag nicht an der Sitzung teilnehmen, deshalb möchte ich jetzt und auf diesem Wege meine Bedenken zum Ausdruck bringen:
Ich stoße mich vor allem an dem Begriff der NS-Ideologie. Zum einen bin ich davon überzeugt, dass es „die“ NS-Ideologie, verstanden als ein Art allgemeingültiger Wertkanon, nicht gegeben hat, zum anderen bin ich weiterhin davon überzeugt, dass die einzelnen Aspekte einer „NS-Ideologie“ nicht von allen Angeklagten in vergleichbarem Maße anerkannt wurden.
Gerade die Beamten und Diplomaten (bezogen auf Fall XI) sahen sich als deutsche Beamte, als Staatsdiener im wörtlichsten Sinne, nicht als NS-Beamte, die einer NS-Ideologie dienten. Sicherlich lässt sich in allen Fällen der ein oder andere Anknüpfungspunkt an die NS-Programmatik finden (vgl. Aufstellung von Patricia), daraus jedoch allgemeingültig eine Umsetzung „der“ NS-Ideologie durch die Eliten zu schließen, wird in meinen Augen der Sache nicht gerecht.
Insofern halte ich den Gedanken „Hitlers Helfer, Teil 756: Die Eliten“ für einen falschen Ansatz. Damit würden wir die differenzierende Betrachtung zugunsten eines (sicherlich ein Stück weit wünschenswerten) verbindenden aber auch verallgemeinernden Rahmens opfern.
Gerade im Bezug auf die Zielgruppe kann nicht davon ausgegangen werden, dass hinreichende Kenntnisse über „die“ NS-Ideologie vorliegen. Dafür notwendige ideengeschichtliche Erläuterungen über die politisch-theoretischen Vorstellungswelten der relevanten gesellschaftlichen Gruppen müssten jedoch bereits in der Weimarer Republik ansetzen, was mir nicht nur in Umfang sondern auch Thematik im Rahmen unseres Podcasts nicht umsetzbar erscheint.
Ich glaube nicht, dass es uns gelingen kann, in unserem Podcast „den“ NS-Staat zu erklären. Vielmehr sollten wir uns, im Rahmen der jeweiligen Zeitvorgabe darauf konzentrieren, die Prozesse, also Tatvorwurf, Beweis, Verteidigung, Urteil, Rezeption darzustellen und aufzuarbeiten. Das Thema Ideologie – Staat sprengt in meinen Augen eindeutig den Rahmen aus Zeit und Zielgruppe.
„Im Staatsarchiv Nürnberg, dem Verwahrort eines Kopiesatzes der Verfahrensakten, nehmen die Unterlagen immerhin rund 48 laufende Regalmeter in Anspruch.“ (Kastner)
@ Kerstin: 24 m für dich, 24 m für mich! Wird eine „spannende“ Woche in Nürnberg werden.
PS: Hast du schon mal das SPIEGEL-Archiv durchgesehen, da sind einige Artikel drin, die besonders Gefangenenalltag, die Verteidiger und die Diskussion um Todesstrafe/Begnadigungen beschreiben. Falls du die noch nicht hast, kann ich sie dir gerne mailen.
Ergänzend zu o.g. Aufsatz folgender Link, der auf weitere Publikationen von Klaus Kastner verweist: LINK. Insbesondere interessant für die rechtsgeschichtliche Betrachtung der Prozesse (IMT und Nachfolge)
(vorläufige) Bibliographie zum Wilhelmstraßenprozess:
Hans Rudolf Berndorff/Richard Tüngel: Stunde Null. Deutschland unter den Besatzungsmächten, München 2004.
Rainer A. Blasius: Fall 11: Der Wilhelmstrassen-Prozeß gegen das Auswärtige Amt und andere Ministerien, in: Gerd R. Ueberschär (Hg.): Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten; 1943 - 1952, Frankfurt am Main 1999, S. 187–198.
Margret Boveri: Der Diplomat vor Gericht, Berlin 1948.
Dirk Pöppmann: Robert Kempner und Ernst von Weizsäcker im Wilhelmstraßenprozess. Zur Diskussion über die Beteiligung der deutschen Funktionselite an den NS-Verbrechen, in: Irmtrud Wojak/Susanne Meinl (Hg.): Im Labyrinth der Schuld. Täter - Opfer - Ankläger (Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust 2003), Frankfurt 2003, S. 163–197.
Hans-Jürgen Döscher: Verschworene Gesellschaft. Das Auswärtige Amt unter Adenauer - zwischen Neubeginn und Kontinuität, Berlin 1995.
Hans-Jürgen Döscher: Seilschaften. Die verdrängte Vergangenheit des Auswärtigen Amts, Berlin 2005.
Helmut Engel/Wolfgang Ribbe (Hg.): Geschichtsmeile Wilhelmstrasse (Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin), Berlin 1997.
Torben Fischer/Matthias N. Lorenz (Hg.): Lexikon der "Vergangenheitsbewältigung" in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, Bielefeld 2007.
Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 1996.
Leonidas E. Hill (Hg.): Die Weizsäcker-Papiere 1933-1950, Frankfurt am Main 1974.
Norbert Kampe: Fall 11 - Der Wilhelmstraßen-Prozeß. in: Bengt von zur Mühlen/Andreas von Klewitz (Hg.). Die 12 Nürnberger Nachfolgeprozesse. 1946-1949, Berlin-Kleinmachnow 2000, S. 233–241.
Robert M. W. Kempner/Carl Haensel (Hg.): Das Urteil im Wilhelmstrassen-Prozess. Der amtliche Wortlaut der Entscheidung im Fall Nr. 11 des Nürnberger Militärtribunals gegen von Weizsäcker und andere, mit abweichender Urteilsbegründung, Berichtigungsbeschlüßen, den grundlegenden Gesetzesbestimmungen, einem Verzeichnis der Gerichtspersonen und Zeugen, und Einführungen. 1. Aufl., Schwäbisch Gmünd 1950.
Robert M. W. Kempner: Das Dritte Reich im Kreuzverhör. Aus den unveröffentlichten Vernehmungsprotokollen des Anklägers Robert M. W. Kempner, München 1969.
Robert M. W. Kempner: Ankläger einer Epoche. Lebenserinnerungen, Frankfurt am Main 1983.
Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt am Main 2007.
Daniel Koerfer: Ernst von Weizsäcker im Dritten Reich. Ein deutscher Offizier und Diplomat zwischen Verstrickung und Selbsttäuschung. in: Uwe Backes/Eckhard Jesse/Rainer Zitelmann (Hg.): Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main/Berlin 1990, S. 375–402.
Erich Kordt: Nicht aus den Akten … Die Wilhelmstraße in Frieden und Krieg. Erlebnisse Begegnungen und Eindrücke 1928 - 1945, Stuttgart 1950.
Rolf Lindner: Freiherr Ernst Heinrich von Weizsäcker. Staatssekretär Ribbentrops von 1938 bis 1943, Lippstadt 1997.
Richard J. Overy: Verhöre. Die NS-Elite in den Händen der Alliierten 1945, München 2002.
Léon Poliakov: Das Dritte Reich und seine Diener. Dokumente, Berlin 1956.
Peter Reichel/Harald Schmid/Peter Steinbach (Hg.): Der Nationalsozialismus - die zweite Geschichte. Überwindung, Deutung, Erinnerung, München 2009.
Paul Seabury: Die Wilhelmstrasse. Die Geschichte der deutschen Diplomatie 1930-1945, Frankfurt am Main 1956.
Telford Taylor: Die Nürnberger Prozesse. Hintergründe, Analysen und Erkenntnisse aus heutiger Sicht, München 1994.
Marion Thielenhaus: Zwischen Anpassung und Widerstand: Deutsche Diplomaten 1938 - 1941. Die politischen Aktivitäten der Beamtengruppe um Ernst von Weizsäcker im Auswärtigen Amt, Paderborn 1985.
Martin Wein: Die Weizsäckers. Geschichte einer deutschen Familie, Stuttgart 1988.
Annette Weinke: Die Nürnberger Prozesse, München 2006.
Ernst von Weizsäcker: Erinnerungen, hg. v. Richard von Weizsäcker, München/Leipzig/Freiburg i. Br. 1950.
@Kerstin: Ergänze doch bei Gelegenheit deine zusätzliche Literatur, indem du einfach diesen Beitrag kopierst.
Hier jetzt also auch mein Versuch. Unser Star für Dienstag sollte vielleicht morgen (Samstag) gewählt werden, damit genug Zeit für die Finalentscheidung bleibt. Wie wäre es bis 15.30 Uhr, pünktlich zur Bundesliga?